Kodex

Es wird wahllos und oft ohne jede Quellenangabe, aber immer aus dem Kontext gerissen, von irgendwelchen Seiten im Internet zitiert, besonders beliebt sind 13 Formen der Verwandlung, die unter The Shift List aufgelistet sind. Ich kenne Leute, die diese unsägliche Liste im Schlaf aufzählen können. Reality-Check: es gibt nur zwei Formen der Verwandlung; die unerreichbare, unmögliche physische Verwandlung, und die in der eigenen Vorstellung stattfindende. Alles andere ist Esoterik.

o'wolf schreibt:

Wobei Esoterik per se nicht schlecht ist, jeder Glauben ist esoterisch. Esoterisch ist das, was diesem Glauben innewohnt, spezifisch für ihn ist und ihn von anderem Glauben abgrenzt. Der Begriff "Glaubenssache" wäre sicher besser verständlich, aber mir kommt es hier auf den Abgrenzungsgedanken und der Konotation des "Geheimwissens", mit der die Aufzähler solcher Definitionsliste arbeiten. Ich sehe schlicht nicht die Notwendigkeit solcher Listen: es ist für jeden, der Erfahrungen mit "Shifts" hat, anders. Die Interpretation hängt dabei fast ausschließlich vom eigenen Glaubenssystem ab. Wozu dann Begriffe erfinden, die diese sehr individuellen Erfahrungen in Schubladen stecken?

Als jemand, der in langen Diskussionen mit Ms. P. an der Entschärfung der Liste mitgearbeitet hat: diese Liste wurde und wird von vielen von uns, dessen Fell nunmehr schon etwas grau um die Schnauze wird, als sehr problematisch gesehen. Und hier passiert nun genau das, was ich von Anfang an befürchtet hatte: eine unkritische Übernahme. Die Liste ist übrigens in der Original-Form nur noch bei Archive.org zu finden. Sehr empfehlenswert ist die Lektüre der Ansichten von Ms. P. unter drakkolupen.com/rants.asp über "Know-it-all Newbies" und "Alpha Wolf Syndrome".

Natürlich ist dies nicht die einzige Quelle. Gerne werden auch Ausschnitte aus Lion Templins Essay-Sammlung (Archiv) verwendet. Ebenso natürlich hat sie aber auch keiner verstanden, zumal ein Großteil pseudo- intellektuelles Gewäsch ist, durch das sich zu wühlen eine Qual ist. Wer aber dennoch meint, sich bei diesem Autor bedienen zu müssen, sollte zumindest seinen Aufsatz "Three Lies of Therianthropy (Archiv)" lesen.

Die nächste Quelle, die man immer wieder erkennt, ist die alt.horror.werewolves FAQ. Den Versuch einer halbwegs getreuen Übersetzung zumindest der Core-FAQ befindet sich auf diesem Server... Auch dieser Text wird gerne sehr selektiv zitiert.

Aber wo mir der Hut hoch geht: In fast allen Original-Publikationen zum Thema steht dick und fett, dass individuelle Ansichten und Erfahrungen beschrieben werden und in keiner Weise Allgemeingültigkeit behauptet wird. Im Gegenteil: der Leser wird oft explizit aufgefordert, seinen eigenen Weg zu suchen. Dabei geht es eben nicht darum, dass die Autoren sich vor der Verantwortung für seine Veröffentlichen drücken wollen, wie man es so oft auf deutschen Seiten sieht. Ganz im Gegenteil: es ist die Aufforderung, sich kritisch mit dem Text auseinander zu setzen.

Richtig eigenartig wird es dann, wenn ich Teile meiner Äußerungen in irgendwelchen Newsgruppen-Beiträgen völlig aus dem Zusammenhang gerissen irgendwo wiederfinde. Es ehrt mich einerseits ja, aber... ehrlich gesagt ehrt es mich mehr, wenn sich meine Leser mit meinen Gedanken auseinander setzen anstatt sie einfach nur nachzuplappern.

Zusammengefasst: Es wird ein Weltbild aus Textfragmenten zusammengebastelt. Der Rückgriff auf diese angeblichen Grundlagen, die doch nie mehr sein sollten als Diskussions-Anstoß für die eigene Identitätsfindung, suggeriert eine Tradition. Diese Tradition existiert aber nicht; das entstehende Weltbild ist nicht nur schief, sondern in der Form auch völlig fiktiv. Alles, was man zu seiner Bildung tun musste, war zu konsumieren. Und damit ist es keinen Deut besser als ein Weltbild, das durch nachmittägliche Talkshows im Fernsehen geprägt wird.