Werjaguar-Geschichte aus Brasilien

Die folgenden Werjaguar-Geschichte aus dem brasilianischen Urwald berichtet von einem holländischen Handelsmann namens van Hielen, der auf einer Geschäftsreise zu einem abgelegenen indianischen Dorf war. Er war ein Naturliebhaber und entschied sich zu einer abendlichen Wanderung in Richtung des Waldes.

Am Rand der Lichtung, weit entfernt vom Dorf, entdeckte van Hielen eine einzelne Hütte. Er hörte wütende Schreie und das Geräusch von Schlägen aus der Hütte kommend. Plötzlich rannte ein ein etwa neunjähriger Junge aus der Tür, gefolgt von einer Frau, die ihn mit einem Ast prügelt. Van Hielen mochte Kinder und trat zwischen die Frau und dem Kind. In der Sprache des Landes fragte er die Frau, was der Junge getan hätte, dass er eine solche Prügel verdiene.

"Getan?" schrie die Frau. "Garnichts hat er getan. Deshalb schlage ich ihn, diesen Nichtsnutz. Nicht einen Handschlag arbeitet er. Und seine Schwester ist genauso schlimm. Ah!" unterbrach sie, "da ist das elende Gör ja. Nun bekommt sie auch, was sie verdient." Damit sprang sie auf das etwa zehn Jahre alte dünne Mädchen zu, das aus dem Wald gekommen war als sie ihren Bruder schreien hörte. Van Hielen war so wütend über die Prügel, dass er der Frau Geld anbot, wenn sie nur die Kinder in Ruhe ließe. Die Frau nahm gierig das Geld und verschwand mit wütendem Blick auf die Kinder in der Hütte.

"Ihr armen Kinder", sagte der Händler, "Wie kann eine Mutter zu ihren eigenen Kindern so grausam sein?" -- "Aber, Meneer", erklärte das kleine Mädchen, "sie ist nicht unsere Mutter. Sie hält uns nur als Sklaven. Sie sind ein gütiger Mann, aber sorgen Sie sich nicht um uns. Mein Name ist Yaranka. Mein Bruder und ich sind die Kinder des Geistes des Waldes, und sie wird unsere Rache unterstützen. Wir haben lange genug unter dieser Frau gelitten. Unsere wahre Mutter wird uns diese Nacht am heiligen Ort helfen." Mit diesen Worten brachen die Kinder in den Wald auf und ließen van Hielen verwundert zurück.

Versteckt im Schatten, denn der Mond war hell, blieb van Hielen nahe der Hütte. Er hörte die Frau schnarchen, und nach kurzer Zeit sah er zwei kleine Schatten aus der Tür schleichen und den Wald betreten. Van Hielen folgte ihnen. Er war dankbar für die vielen Jahre in diesem Land, die ihm das lautlose Bewegen durch den nächtlichen Dschungel gelehrt hatten. Dennoch verlor die Kinder häufig beinahe aus dem Blick. Wie Elfen schienen sie sich durch das Gewirr von Lianen und Gestrüpp zu bewegen.

Nach einiger Zeit kamen sie auf eine kleine Lichtung, auf der ein silbriger Wasserfall in einen Teich stürzt. In der Mitte des Teichs wuchs eine einzelne große weiße Wasserlilie. Yaranka und ihr Bruder knieten am Ufer nieder und begannen einen Gesang in einer unbekannten Sprache. Dann pflückten die Kinder Blumen von der Böschung und warfen sie ins Wasser. Die Bewegung der Blumen auf dem Wasser machten den Händler schläfrig. Alles schien sich zu drehen und der Sturm des Wasserfalls wurde begleitet durch den Sturm eines seltsamen dunklen Windes. Aus der Erde erhob sich eine gewaltige Figur, gestaltlos und überragend. Dann, innerhalb eines Augenblickes, verschwand die Figur, die Übel erregende Bewegung in der Lichtung hörte auf, und alles war wie zuvor. Außer, dass wo vorher die zwei Kinder standen, ein Paar großer Jaguare stand. Sie waren van Hielen so nah, dass die Flecken auf ihren glatten, glänzenden Köpfen Köpfen hätte zählen können -- und sogar die Schnurrhaare über der gefletschten Schnauze.

Van Hielen war ein tapferer Mann, aber er wusste dass er keine Chance gegen zwei solche wilden Jäger auf so kurzer Distanz hat. Er sah die zwei Paar grüner Augen glühen, als die Bestien ihn witterten. Plötzlich setzte einer der Jaguare zum Sprung an, Schulter an Schulter mit dem anderen. Zwei pelzige Körper rasten an ihm vorbei, so nah dass er ihren Atem spüren konnten, auf den schmalen Weg. Dann waren sie verschwunden.

Noch vor Schreck zitternd, riss sich van Hielen zusammen und begab sich auf den Weg zurück ins Dorf. Er erreichte die Lichtung mit Anbruch des Morgens. Alles erschien ihm wie gewohnt. Außer die Hütte der Frau, in deren Eingang Pfotenabdrücke führten. Aus der Hütte hörte das fürchterlichste Geräusch, das er je gehört hatte. Es war das Geräusch von Tieren, die an Knochen knabbern.

Überzeugt, dass die Frau nie wieder Kinder schinden wird, verließ van Hielen das Dorf ohne zurückzublicken.